Sonnenfinstenis - Lobpreisung und Aufruf

The following lines were written by Christof Wiedemair some time after witnessing the "Great American Eclipse" - dubbed so by the media - in 2017. It is not only a praise to this terrific natural phenomenon but also a passionate "kick up the arse" for anyone who has not yet had the opportunity to experience one. 

German only, friends. Sorry for that. Our Italian readers can find a detailed description of the events here: blogparsec.it

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Nach fünf erlebten Sonnenfinsternissen und summierten fünfzehneinhalb Minuten im Kernschatten des Erdmondes, mute ich dem geneigten Leser meine Rekapitulation des Gesehenen zu:

Vorweg, die Aussage, dass man eine Sonnenfinsternis nicht standesgemäß beschreiben kann, sondern erleben muss, trifft völlig zu. Es ist wohl das beeindruckendste Spektakel, das die Natur aufzubieten hat.

Zu Beginn ist alles noch entspanntes Warten. Man unterhält sich, behält die Wolken am Himmel argwöhnisch im Auge, blickt dann und wann prüfend auf die Uhr und durch die Sonnenfinsternisbrille auf die noch makellos kreisrunde Sonnenscheibe. Rückt der Moment des 1. Kontakts, also des Moments, wo der Rand des unsichtbaren Neumonds zum ersten Mal die Sonne berührt, näher, folgt das Wettrennen: Wer sieht als Erster, dass der Mond an der Sonne knabbert? 

Schweigendes, angestrengtes Spähen und dann ist es soweit! Aus einem leise geäußerten Verdacht - "Vielleicht oben rechts?", "Fehlt da nicht ein wenig?" - wird nach wenigen Sekunden eine felsenfelste Gewissheit: 

Es hat angefangen! Es bewahrheitet sich! Es ist unausweichlich! Wir werden eine Sonnenfinsternis erleben!


Partielle Phase der Sonnenfinsternis vom 10.06.21
Foto von Johannes Rubner


Nach dieser ersten Euphorie kehrt wieder Ruhe ein. Minute um Minute vergeht, und der Mond schiebt sich unaufhaltsam zur Mitte der Scheibe hin voran. Irgendwann, nach vielleicht einer halben Stunde, stellt jemand zum ersten Mal ungläubig die Frage "Ist es dunkler geworden?" Manche pflichten bei, andere nicht. 

Nach weiteren zehn Minuten ist es für jeden offensichtlich. Ja, es ist dunkler und doch ist es ein völlig befremdliches Zwielicht, welches sich über die Landschaft gelegt hat. Bei einer so fortgeschrittenen Dämmerung steht die Sonne für gewöhnlich tief und ihr Licht ist gerötet, sodass alles ringsum in einer warmen Note erscheint. Dieses Halblicht ist hingegen von einem kraftvoll silbrigen Schlage und durchaus schaurig. Man kann sich ausmalen, welche Flut der Bestürzung und Angst in ebendiesem Moment der Gewahrwerdung durch heute längst vergangene Gesellschaften gefegt sein muss. Niemand hatte die Kunde von dem bevorstehenden Himmelsereignis bereits Tage vorher verbreitet, wie es heute die Medien tun. Es kam aus heiterem Himmel.

Minuten vor der Totalität nimmt das Phänomen schließlich rasant an Fahrt auf und jeder der nur auf das Erleben einer partiellen Sonnenfinsternis verweisen kann, kennt das nun Folgende nicht. Die Sonnensichel schrumpft eilig zusammen und die verbleibende Helligkeit sinkt rapide. Am Boden erscheinen hastig huschende Schattenstreifen, erst nur andeutungsweise, dann deutlich und künden vom herannahenden Kernschatten. Doch man weiß nun längst nicht mehr, wohin man seinen Blick wenden sollte, denn im selben Moment schon wird um die Sonne der erste zarte Schein der Korona sichtbar und bildet mit dem gleißenden Lichte der verbleibenden Sichel das atemberaubende Diamantringphänomen. 

Der vergleichweise noch wenig beanspruchte Hörsinn nimmt die zahlreich aufbrandenden Freudenrufe der Umstehenden auf, während das strahlende Juwel am Himmel rasend dahinschmilzt. Die verbliebene Helligkeit fällt in wenigen Sekunden in sich zusammen! Planeten und die hellsten Sterne stehen aus dem Himmelsblau auf, doch diese bemerkt längst keiner mehr: Alle Augen hängen gebannt an der verglimmenden Sonne.

2. Kontakt! Der Diamant ist verloschen und der fahle, doch unsagbar anmutige Schein der Korona spannt sich mit seinen feinen Strahlen um das tiefschwarze Rund der bedeckten Sonne und weit in den dämmerungsblauen Himmel hinein. Im selben Augenblick kommt der bis eben so hektisch ablaufende Schwall der Ereignisse urplötzlich zum Stillstand. Die schwarze Sonne scheint unverrückbar und majestätisch an den Himmel gemeißelt. Tränen laufen über Wangen und nur das ekstatische und haltlose Jubeln und Jauchzen in der Luft ringsum bewahrt einen davor, zu glauben, die Zeit wäre stehen geblieben. Ich bin zur Ansicht gelangt, dass eine totale Sonnenfinsternis gerade aus diesem genialen Tempowechsel in der Choreographie einen großen Teil ihrer Faszination und Unvergesslichkeit bezieht.

Der 3. Kontakt findet unvermittelt und stets viel zu bald statt: Der Mond gibt die Sonne wieder frei. All dieselben großartigen Ereignisse finden in umgekehrter Reihenfolge statt und sind dennoch nur mehr ein matter Abglanz des gerade Erlebten. Die stetig und doch unmerklich aufgebaute Spannung hat sich längst gelöst und hat an Reizen und Eindrücken bis zum Rand gesättigte Zeugen zurückgelassen. Das Dunkel weicht und gibt den Blick auf glückselig trunkene Gesichter frei, die alle demselben Wunder geschaut haben. Aus der anfänglichen Sprachlosigkeit der nunmehr Verschworenen entspinnen sich erste Worte, aus denen sich rasch ganze Sätze bilden, doch alles Gesprochene bleibt schmerzhaft hinter dem Erlebten zurück. Manche brechen früh auf, manche bleiben noch bis zum letzten Kontakt. Und für manche beginnt schon das Planen für das nächste Mal.

Viele auf dem Planeten werden nie die Möglichkeit haben, eine Sonnenfinsternis zu erleben, doch viele hätten sie und nehmen sie nicht wahr. Die Letzteren genießen mein vollstes Unverständnis und mögen diese Zeilen hoffentlich als einen gut gemeinten Aufruf verstehen, sich auf die Haddsch der Aufklärung, auf die Jagd auf den Mondschatten zu begeben. Die nächste Gelegenheit wäre am 2. Juni 2019 in Chile, gute Gelegenheiten wären der 8. April 2024 in Nordamerika bzw. der 2. August 2027 in Nordafrika. 

Man sieht sich dort!

Christof Wiedemair 



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