46P/Wirtanen - Entfernung mittels Parallaxe

Der 1948 entdeckte Komet 46P/Wirtanen hat eine besonders kurze Umlaufzeit. Alle 5,4 Jahre kommt der Körper aus Staub und Eis in die Nähe der Sonne und bildet die für Kometen charakteristische Gashülle (Koma) sowie einen manchmal mehr, manchmal weniger ausgeprägten Schweif aus. Bei der für den Winter 2018 angekündigten Passage sollte der Komet zudem der Erde besonders nahe kommen und so zu einem mit dem freien Auge sichtbaren Objekt am Nachthimmel werden. Ein guter Anlass für die Astrogruppe sich den faszinierenden Weltenwanderer vorzuknöpfen!

Bereits im vergangenen Sommer wurde Christof Wiedemair, Leiter der Astronomiegruppe, in den sozialen Medien auf den herausragenden Astrofotografen Sebastian Voltmer aufmerksam. Da Sebastian viele seiner Aufnahmen in Namibia anfertigt, entstand die Idee, irgendwann mal gemeinsam die Distanz zu einem Himmelskörper mittels des sogenannten Parallaxeneffekts zu bestimmen.

Die Parallaxe hat zwar einen komplizierten Namen, ist aber eigentlich etwas sehr banales. Streckt man den Arm aus und betrachtet den eigenen Daumen abwechselnd mit dem linken und dann mit dem rechten Auge, so sieht man, wie der Daumen vor dem Hintergrund entfernter Objekte hin- und herspringt. Dieser Versatz wird Parallaxe genannt und seine Messung ermöglicht es, auf die Distanz zwischen Auge und Daumen zu schließen.

Unser Daumen sollte in unserem Fall nun der Komet Wirtanen sein! Und unsere beiden Augen wären zwei Teleskope, einmal in Südtirol und einmal in Namibia. Nur dass... nun ja, der Komet Ende Dezember schon so weit nördlich stand, dass er von Namibia aus gar nicht mehr beobachtbar war. Aber von solchen Lappalien ließen wir uns natürlich nicht aufhalten. Sebastian fuhr kurzerhand mit einer mobilen Ausrüstung nach Spicheren, einem dunklen Ort in Frankreich und fotografierte das Objekt unserer Begierde von dort aus!

Wir hatten noch ein weiteres Ass im Ärmel! Anfang Dezember knüpfte die Astrogruppe, ebenso über soziale Medien, Kontakt zum indischen Amateurastronomen Vikrant Agnihotri, der in Rawatbhata, Rajasthan ein kleines privates Observatorium betreibt. Die riesige Begeisterung für Astronomie und Vikrants Herzlichkeit ließen ihn schnell zu einem weiteren Partner für unser Projekt zur Distanzbestimmung avancieren!

Bild 1: Das Wirtanen-Parallaxen-Team!
Von links: Vikrant Agnihotri, Vera Oberhauser, Lisa Niederbrunner, Pauline Hofer und Sebastian Voltmer.


Am 25. Dezember 2018 war schließlich alles bereit und der Wettergott gut gelaunt! Ab 18:00 Uhr UT war eine synchrone Aufnahmeserie des Kometen Wirtanen verabredet! Bruneck - Spicheren - Rawatbhata, an allen drei Standorten richteten sich Teleskope in den klaren Nachthimmel und zum Kometen Wirtanen hin! Bilder plätscherten nach und nach auf die Festplatten! Freude kam auf! Für den armen Vikrant zeigte die Uhr bei Aufnahmebeginn schon halb 1 Uhr morgens an, dennoch schrieb er live und begeistert "awsome... I'm enjoying friends"! Er sammelte an diesem Abend 100 Bilder zu 15 s Belichtungszeit, Sebastian lieferte 28 Bilder zu 30 s und wir ließen Kamera und Teleskop im Vollautomatik-Modus für ganze 2,5 h laufen, sodass wir am Ende einen Datenschatz von 220 Bilder zu 30s unser Eigen nennen konnten! Dieser Teil war erledigt! Nun galt es, all diese Bilder zu einer Zahl zu destillieren, zur Entfernung von 46P/Wirtanen!

Bild 2: Screenshot von Vikrants Computerbildschirm am Abend der Datengewinnung. Zur Motivation oder um wach zu bleiben, blendete er ein Gruppenfoto des "Teams Bruneck" ein, welches wir ihm kurz zuvor geschickt hatten!


Das folgende Video zeigt eine Zeitrafferaufnahme, zusammengestellt aus unseren 220 Einzelbildern. Man sieht die schnelle Bewegung des Kometen über den Nachthimmel im Zeitraum von 2,5 Stunden.




Die Auswertung erledigten wir am Sonntagnachmittag des 30.12.2018. Ein weihnachtsbedingt verlassenes Schulgebäude ist schließlich der ideale Ort, um in aller Ruhe etwas Vektorrechnung mit Trigonometrie zu kombinieren. Während die Beobachtung offenbar nach Frauenpower verlangte, blieb die Auswertung fest in Männerhand!

Bild 3: Von links: Dominik, Maximilian und David beim Auswerten der gesammelten Daten!

Die Distanz zwischen den Aufnahmeorten hatte der "Zivilist" (das Nicht-Astrogruppenmitglied) Valentin Dejaco von der 4bR freundlicherweise schon einen Tag zuvor als Weihnachtsgeschenk an die Astrogruppe berechnet. Kontrolliert und für gut befunden wurde sein Ergebnis von Pauline und Lisa. Als linearen Abstand zwischen den Aufnahmeorten ergaben sich so:

Bruneck - Spicheren    ...   457 km
Bruneck - Rawatbhata ... 5827 km

Dies waren also die Basislinien für den Parallaxeneffekt. Nun war noch der Parallaxenwinkel selbst in den Bildern zu vermessen! Hierzu wählten wir Bildpaare aus, welche möglichst zeitgleich entstanden waren. Ein abwechselndes Anzeigen der beiden zur Deckung gebrachten Bilder, das sog. Blinken, zeigte klar einen Versatz des Kometen am Himmel.

Bild 4: Überlagerung zweier zeitgleich aufgenommener Bilder aus Bruneck und Rawatbhata. Klar sieht man, dass der Komet gegenüber den Fixsternen versetzt liegt. Der Komet erscheint im Bild von Rawatbhata (links oben) kleiner, da die Belichtungszeit kleiner und das Seeing in Indien besser war. 


Diesen Versatz in Pixeln zu bestimmen gelang uns durch das Anpassen einer 2D-Funktion, der sogenannten "Point Spread Function", an die Helligkeitsverteilung des Kometen! Gelegentlich störten allerdings Hintergrundsterne in der Koma beim exakten Erfassen des Helligkeitszentrums.

Bild 5: Beispiel für eine Positionsmessung! Bei dieser Erfassung der Pixelkoordinaten
des Kometenzentrums störte ein sehr schwacher Stern, welcher leicht rechts oberhalb sitzt.

Mit Hilfe des Abbildungsmaßstabes der Bilder, welcher aus den im Bild sichtbaren Sternen mittels "Platesolving" errechnet wurde, gelang es schließlich auch, diese Pixeldistanz in eine Winkeldistanz umzurechnen. Die Ergebnisse mehrerer gemittelter Messungen sind wie folgt:

Bruneck - Spicheren    ... Parallaxe von ca.   6 Bogensekunden (Mittel aus 2 Bildpaaren)
Bruneck - Rawatbhata ... Parallaxe von ca. 84 Bogensekunden (Mittel aus 4 Bildpaaren)

Erwartungsgemäß ist der Versatz in den Bildern von Indien deutlich größer, da ja die Basislinie mehr als 12 mal so groß ist! Die Messungen der Parallaxe streuten bei den Daten von Spicheren deutlich stärker, auch das war zu erwarten gewesen.

Der Rest ist nun elementare Trigonometrie. Das Dreieck Bruneck - Spicheren/Rawatbhata - Wirtanen kann in guter Näherung als gleichschenklig gesehen werden. Basislinie sowie der Winkel, welcher der Basis gegenüberliegt sind bekannt. Die nachstehende Skizze verdeutlicht die Überlegungen.

Bild 6: Sichtlinien von Bruneck und von Rawatbhata zum Kometen. Von Bruneck aus betrachtet stehe der Komet neben einem Stern, von Rawatbhata aus neben einer Galaxie. Beide Sichtlinien zur Galaxie sind in guter Näherung parallel, die Winkel Alpha und Beta damit gleich groß. Das Dreieck hat in guter Näherung zwei gleich lange Schenkel r. 

Unsere Messergebnisse für die Kometendistanz können sich sehen lassen! Kombiniert man die Daten aus Bruneck und Rawatbhata so errechnet sich die Distanz zu 14,4 Millionen Kilometer, was im Vergleich zum offiziellen Wert an diesem Tag nur 4% zu tief liegt. Aus der Kombination der Daten aus Bruneck und Spicheren ergibt sich eine Distanz des Kometen Wirtanen von 15,1 Millionen Kilometern, was lediglich um 1% zu hoch liegt. Dennoch ist das "bessere" Ergebnis mit Vorsicht zu genießen, da nur zwei passende Bildpaare verwendet wurden und die Streuung hoch war. Beim "indischen" Ergebnis fällt auf, dass alle Messwerte unterhalb des Literaturwerts lagen. Hier ist die Frage nach einem systematischen Fehler gerechtfertigt. Eine Zeitabweichung der beiden Computeruhren wäre der naheliegendste Verdächtige...

In Summe war unser erster Ausflug in die Welt der Parallaxen ein voller Erfolg! Einige wenige genauen Positionsmessungen und etwas elementare Geometrie ermöglichten es uns, in Kollaboration mit neuen Freunden, die Distanz zu einem an der Erde vorbeihuschenden Eisbrocken auf wenige Prozent genau zu bestimmen! Eine genauere Auswertung der gesammelten Daten böte sich an und Ideen hierfür gäbe es auch zur Genüge. Aber... stimmt! Es sind ja Ferien! :)

Christof Wiedemair


Danksagung: Ein ganz herzlicher Dank an unsere neuen Freunde Vikrant Agnihotri und Sebastian Voltmer. Ohne eure Beobachtungsbeiträge wäre dieser große Spaß nicht möglich gewesen!








Kommentare

  1. Mathematik am Sternhimmel lebendig gemacht. Klasse Projekt! Ein weiteres internationale Projekt findet ihr hier: lutz-clausnitzer.de/as/asunte/asunte.html --> Erdumfang nach Eratosthenes.

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